Medizin-Geschichten

Die Heilpflanze des Monats August 2014
Kurioses, Bizarres, Interessantes

Folge 28: Schwarzer Holunder (Sambucus nigra)

Die „Apotheke des Bauern“ war der Holunderbaum (eigentlich ein Busch). Alles wurde in der Volksmedizin verwendet, wie ein alter Spruch bezeugt: „Rinde, Beere, Blatt und Blüte – jeder Teil ist Kraft und Güte“. Kein Wunder, dass sich um diesen wundersamen Baum, der auch Holder, Holler, Maßholder, Stinkflieder oder Hölderlin genannt wurde uralte Mythen ranken.

Darauf weist schon der Name hin. Der Busch galt bei den Germanen als Sitz der Göttin Holda oder Holla – daher „Holunder“. Holda kennt jeder, sie ist die „Frau Holle“ aus dem Märchen. Nebenbei: Wacholder ist nicht etwa ein anderer Wohnsitz dieser Göttin. Sondern „Wacholder“ kommt von den althochdeutschen Wörtern „wachal“, munter oder lebensfrisch, und „der“, Baum oder Strauch, bedeutet also „immergrüner Baum.

Die Göttin Holda hatte wie so viele alte Götter zwei Gesichter. Einerseits brachte sie Segen und war sie den Menschen wohlgesonnen. Sie beschützte Pflanzen, Tiere, Haus, Hof, Mensch und Vieh gegen dunkle Mächte, Feuer und Hexen. Sie herrschte über das Wetter und konnte mit ihrer Macht gute Ernte und somit Wohlstand bringen. Außerdem hatte die Göttin die Macht, über Geburt und Tod zu entscheiden. Holda wird mitunter auch mit der germanischen Todesgöttin Hel identifiziert. Besonders in den zwölf Raunächten war Holda gefährlich, dann fuhr sie als „Wilde Frau“ durch die Lüfte. Der Holunder passt zu diesen zwiespältigem Wesen: So wie die Göttin das Leben als auch den Tod symbolisierte, ist der ihr geweihte Baum Heil- und Giftpflanze zugleich (giftig sind vor allem die unreifen Beeren).

Holda galt aber vor allem als Schutzgöttin und wurde sehr verehrt – und mir ihr der Holunderbusch. Holler wurde oft zum Schutz  direkt beim Haus gepflanzt – vielleicht mit ein Grund, weshalb Holunder zu den häufigsten Straucharten in Mitteleuropa zählt. Man zog den Hut vor dem Busch („Hut herunter vorm Holunder!“) und betete unter dem Holler. Es war strengstens verboten, Holunderbüsche zu fällen, um Frau Holle nicht zu verärgern. Auch wenn man Zweige für medizinische Zwecke brauchte, konnte man sie nicht einfach so abschneiden. Man musste die Göttin um Erlaubnis fragen oder sich wenigstens entschuldigen, damit die Zweige nicht ihre Heilkraft verlieren. Besonders in Bayern und Schwaben sowie im Elsass war die Verehrung weit verbreitet, und noch im 18. Jahrhundert wird berichtet, dass die Menschen den Busch um Verzeihung baten, wenn sie ihn fällen mussten.

In den Zeiten der Christianisierung wurden Natur-Gottheiten natürlich verunglimpft. Auch die alte Schutzgöttin Holda wurde zur Hexe umgedeutet, die unartige Kinder raubt, Spinnerinnen den Flachs verdirbt oder Bäuche mit Steinen füllt. So bekam auch der Holunder neue volkstümliche Namen wie Teufelsbeere oder Judastrauben. Doch der Holler blieb eine heilskräftige Pflanze, daran konnte keine Verteufelung etwas ändern. Also wurde wie immer in solchen Fällen umdisponiert: Die  Verehrung wurde in den christlichen Glauben einbezogen und die Heilkraft Gott zugeschrieben. Und es spannten sich nach und nach auch christliche Legenden um den alten Zauberbaum. So soll Maria auf der Flucht nach Ägypten unter einem Hollerbusch gerastet haben (der schwarze Holunder kommt in Nordafrika vor). Selbst das Kreuz Christi soll aus Holunder gefertigt worden sein.

Holunder hatte bei Germanen und Kelten aber noch eine andere Bedeutung: Der Baum war ein Symbol der Wiedergeburt. Denn wird Holunder abgeschlagen, wächst er schnell aus dem Boden wieder nach.

Diese Eigenschaft nutzen die Menschen in Zeiten von Krieg und Räuberbanden. Wer fliehen musste, vergrub seine Wertsachen unter einem Holunder und hackte dessen oberirdische Teile ab. Kam man nach Jahren der Flucht zurück, hatte der Busch wieder ausgetrieben, und man wusste, wo man graben musste, um seine Wertsachen zu finden.

Quellen:
u.a.  Gerhard Madaus: „Bioheilmittel“, Marianne Beuchert: „Symbolik der Pflanzen“ und verschiedene Internetseiten

Ursula Armstrong | Redaktion | Sperberweg 2 | D-82152 Krailling | Telefon: +49 (0) 163 / 313 21 10 | e-mail: mail@uschi-armstrong.de | www.redaktion-armstrong.de

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Die weißen Blütensternchen des Holunder – sie sind die Schneeflocken der Frau Holle. Die aromatisch duftenden Blüten haben eine schweißtreibende Wirkung bei Erkältungskrankheiten. Foto: Armstrong